Die fiktive Hexensekte
von Lydia Muralt (Kommentare: 0)
Magie im Alltag
Lange, bevor es im Spätmittelalter zu Hexenverfolgungen kam, war Magie im Alltag der Menschen präsent und somit natürlich auch die Vorstellung, dass man einander durch Magie Schaden zufügen kann.
In landwirtschaftlich geprägten Umgebungen schützten die Menschen sich und ihr Vieh schon in vor christlicher Zeit mit magischen Amuletten, Ketten und Symbolen. Auch der Brauch, Lärm zu machen (Kuhglocken, Fastnacht) geht auf magische Praktiken zurück, um Geister zu vertreiben.
Dagegen wurde in einem eher intellektuellen Kontext im 16. Jahrhundert die magia naturalis (Alchemie und Astrologie) ausgeübt.
Doch die spezifische Vorstellung von Hexer und Hexen, die als Teil einer Sekte mit dem Teufel einen Pakt schliessen, um Mensch und Vieh zu schaden, hat sich erst ab dem 14. Jahrhundert in einem Diskurs der Gelehrten langsam entwickelt.
Vom Hexenprozess zum Ketzerprozess
Heute gilt in der Geschichtswissenschaft als gesichert, dass der Hexenprozess sich aus dem Ketzerprozess entwickelt hat.
Die häretische Magie
Das römische und germanische sowie auch das kanonische Recht sahen für gewissen Formen der Magie Bestrafungen vor. Doch bis zum Spätmittelalter gab es in Europa keine gross angelegten Hexenverfolgungen. Im Gegenteil; die Kirche reagierte eher zögerlich, wenn es um die Verurteilung von angeblichen Zauberinnen und Zaubern ging.
Dann kam es Mitte des 13. Jahrhunderts erstmals zum Grosseinsatz der Inquisition auf die Katharer in Frankreich. Etwa zeitgleich gab es seitens einzelner Inquisitoren Bestrebungen, die Magie unter ihre Kontrolle zu bringen.
Papst Alexander IV reagierte auf diese Entwicklung, indem er betonte, dass sich Inquisitoren nur mit Hexerei befassen durften, wenn jene in Verbindung mit offensichtlicher Häresie stand. Dieses Bestreben von Papst Alexander um Genauigkeit in Ketzerprozessen zerstörte ein Jahrhundert später Papst Johannes XXII mit seiner Konstitution Super Illius Specula von 1326 oder 1327.
In Super Illius Specula stellte Papst Johannes XXII definitiv eine Verbindung zwischen Zauberei und Häresie her. Häresie wiederum war schon im 12. Jahrhundert durch Papst Innozenz III 1199 kriminalisiert worden, welcher festhielt, dass Häretiker schlimmer seien als Majestätsverbrecher, weil sie die göttliche Majestät beleidigen würden. Im 13. Jahrhundert dann warfen Inquisitoren Häretikern Teufelsverehrung vor und machten aus kriminellen Ketzern noch gefährlichere Abtrünnige der christlichen Lehre, die im Gegensatz zu "gewöhnlichen" Häretikern eben nicht nur eine andere Auslegung der Heiligen Schrift lebten, sondern sich ganz und gar von der christlichen Religion lossagten. Darauf stand der Feuertod.
Die Verbindung zwischen einer kriminalisierten und diabolisierten Häresie mit Magie war für Menschen, denen das Praktizieren von Magie vorgeworfen wurde, sehr gefährlich. Denn sie wurden so gleichzeitig zu häretischen Teufelsanbetern, denen der Garaus gemacht werden musste.
Weil Magie nun häretisch war, nahm sich die Inquisition, die für die Verfolgung von Häretikern zuständig war, logischerweise auch Hexer und Hexen an.
Die fiktive Hexensekte
Es dauerte aber noch ein ganzes Jahrhundert bis es zu systematischen Hexenverfolgungen kam.
Nebst Super Illius Specula war höchstwahrscheinlich die Beschreibung einer im 13. Jahrhundert durch Papst Gregor IX erfundenen Teufelssekte ein weiterer wichtiger Beitrag, der zum Konstrukt von Hexen und Hexer sowie einer Hexensekte führte. Papst Gregor IX beschrieb die Luziferianer in seiner Bulle Vox in Rama. In der Folge entwickelte die erfundene Sekte in den Köpfen der Inquisitoren ein Eigenleben. Letztere verwechselten fortan echte Häretiker mit erfundenen Teufelsanbetern. Dank den von der Inquisition entwickelten Verhör-Techniken, bei denen es eher darum ging, das Bild, dass man sich von Ketzern machte, bestätigt zu kriegen und nicht, die Häretiker tatsächlich zu verstehen, ging das relativ einfach.
Im 15. Jahrhundert verbreitete sich die Vorstellung der erfundenen Teufelssekte weiter. Gleichzeitig verfestigte sich auch die Ansicht, dass Menschen einander durch Magie und Zauber mithilfe des Teufels Schaden zufügen können. Beide Vorstellungen wurden kompatibel, weil ja schon ein Jahrhundert zuvor die Magie an die diabolisierte und kriminalisierte Häresie angeglichen worden war. Den häretischen Rahmen, in dem sich die neuen Vorstellungen von Schadenszauber entfalten konnten, bildete dabei die erfundene Luziferianer Sekte.
Ein zentrales Element des Aufnahmerituals der Hexen-Sekte ist, wie bei den Luziferianern, der Pakt mit dem Teufel. Luzifer begegnet den Hexer und Hexen dabei meist entweder in Gestalt eines Tieres, etwa eines grossen schwarzen Hundes, oder eines Jünglings beziehungsweise Mannes. Und wie bei den Luziferianern werden die Neulinge von einer Verführerin oder einem Verführer in die Sekte eingeführt.
Hexen-Glaube wird zum Dogma
Das neue Hexenbild entstand zunächst in den Köpfen einiger weniger, namentlich in den Köpfen gelehrter Kleriker und Inquisitoren. Durch theoretische Literatur wurde es in jenen Kreisen weiterverbreitet, wobei auch die weltlichen Obrigkeiten lernten, was eine Hexe ist. Dem einfachen Volk wurde der neue Hexenbegriff durch Verfolgungen beigebracht. Ab einem gewissen Punkt konnte sich dann niemand mehr vorstellen, dass es eben gar keine Hexensekte gab.
Der grossen Unterschied zwischen der Hexensekte und der Teufelssekte bestand darin, dass die Vorstellung der Luziferianer sozusagen auf einer reellen Basis, nämlich tatsächlich existierenden Häresien basierte. Dagegen war die Hexensekte eine reine Erfindung, die auf dem Hirngespinst der Teufelssekte aufbaute.
Fatal war, dass der Hexen-Glaube dabei zum Dogma wurde im Sinne einer unhinterfragbaren Wahrheit, was auch einzelne Passagen im wohl berühmtesten und meist verbreiteten Buch über Hexen illustrieren: 1486 kam der Hexenhammer, das Handbuch für Hexenjäger in die Presse. Der Autor, der Mönch und Inquisitors Heinrich Kramer, argumentierte darin, dass Menschen, die nicht an Hexen glauben würden, Ketzer seien, denn ihr Zweifel am Hexenglauben stelle auch die Heilige Schrift in Frage:
"Die also sagen, es gäbe kein Hexenwerk in der Welt, ausser in der Vorstellung der Menschen; auch nicht glauben, dass es Dämonen gäbe, ausser in der Vorstellung allein des grossen Haufens (…) und da dies dem wahren Glauben widerstreitet, nach dem wir glauben, dass Engel aus dem Himmel gestossen und Dämonen geworden seien, deshalb gestehen wir auch, dass sie durch grössere Kraft ihrer Natur vieles vermögen, was wir nicht können; und jene, die sie zu solchen Taten bringen, heissen Zauberer. So heisst es dort. Weil aber Ungläubigkeit an einem Getauften Ketzerei heisst, deshalb werden solche der Ketzerei bezichtigt."
Kramer stützte sich bei seiner Argumentation sowohl auf kanonisches als auch weltliches Recht, die Bibel sowie auf Kirchengelehrte wie Thomas von Aquin und Augustinus.
François Marguet: ein herätischer Hexer aus Dommartin
Bei den Hexenverfolgungen, die in der Westschweiz anfangs des 15. Jahrhunderts stattfanden, war die Vorstellung einer Hexensekte ein wichtiger Bestandteil. Sogar bei Prozessen Ende des 15. Jahrhunderts ist das Bild von Hexen und Hexer als Mitglied einer Hexensekte sehr lebendig. Das zeigt zum Beispiel der Prozess von François Marguet aus dem Dorf Dommartin in der Nähe von Lausanne.
François Marguets Prozess fand 1498 statt. Fünfzehn Zeugen sagten damals gegen Marguet aus. Dabei verdächtigten sie ihn sowohl der Häresie als auch der Schädigung von Mensch und Tier durch Malefizien. Marguets Neffe warf seinem Onkel sogar den Tod von Tochter und Ehefrau vor!
François Marguet wurde insgesamt vier Mal vom Vizeinquisitor befragt. Schlussendlich gestand Marguet ein Häretiker zu sein. Die Beschreibung dessen, was anlässlich des Sektentreffens geschah, erinnert dabei an die Praktiken der Luziferianer, die Papst Gregor IX in Vox in Rama schildert. So sind folgende Bestandteile des Rituals der Luziferianer auch Bestandteil der Praktiken der Hexen-Sekte von Dommartin: gemeinsames Essen, Kuss auf das Hinterteil des Teufels in Form eines schwarzen Tieres, gemeinsame Unzucht und Hostienschändung.
Hexen und Hexer als Komplizen
Je älter das Jahrhundert wurde, desto mehr wurde der Glaube an die Hexensekte durch die Vorstellung von Hexer und Hexer als Anhäufung von Komplizen abgelöst. Wie Kathrin Utz Tremp meint, hing dies damit zusammen, dass sich zunehmend weltliche Obrigkeiten der Hexenverfolgung annahmen.
Diese Entwicklung scheint auch auf die 84 Hexenprozesse in Zürich zuzutreffen, die Otto Sigg aufgearbeitet hat.
Auf dem Hoheitsgebiet von Zürich fand mit Margareth Bucher von Oberwil (Dägerlen) 1487 die erste Verurteilung einer Frau wegen Beischlaf mit dem Teufel und Schadenszauber statt. Insgesamt kam es auf dem Hoheitsgebiet von Zürich zu 84 Verurteilungen wegen Hexerei. Es sind die weltlichen Obrigkeiten, namentlich der Zürcher Rat, die sich um die Verfolgung der Zürcher Hexen und Hexer kümmerten. Die Prozessakten machen ersichtlich, dass auch bei den Zürcher Hexenprozessen der Pakt zwischen Teufel und Hexen sowie Hexer ein zentraler Bestandteil des Hexenbildes war. Die Vorstellung einer Hexensekte war jedoch schon verschwunden.
Aus den Zürcher Prozessakten kann man herauslesen, wie die Verfolger sich den Teufelspakt vorstellten: Mit dem Beischlaf besiegeln die vermeintlichen Hexen den Bund mit dem Teufel. Nach der Vereinigung steckt der Teufel den Frauen Geld zu, dass sich im Nachhinein als wertlos entpuppt. Etwas anders gestaltet sich der Teufelspakt bei Männern, die wegen Hexerei unter Anklage stehen. Ihnen wird oft Sodomie, Bestialität und/oder Sex mit vom Teufel zur Verfügung gestellten Gespielinnen vorgeworfen.
Literatur
- Korrodi-Aebli, Elisabeth: "Göldi, Anna", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.09.2005. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/043539/2005-09-23/, konsultiert am 27.03.2021.
- Patt, Herbert: Hexenprozesse der Gerichtsgemeinde Heinzenberg: Geschichten, Sagen & Erzählungen rund um die Gerichtsgemeinde Heinzenberg in Sarn im 17. und 18. Jahrhundert, Herbert Patt, 2012.
- Pfister, Ulrich; Utz Tremp, Kathrin: "Hexenwesen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 16.10.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011450/2014-10-16/, konsultiert am 14.03.2021.
- Sigg Otto: Hexenprozesse mit Todesurteil. Justizmorde der Zunftstadt Zürich: Vom bösen Geist in Stadt und Land Zürich und im aargauer Kelleramt. Dokumentation zu 79 mit Todesurteilen endenden sogenannten Hexenprozessen im Hoheitsgebiet der Stadt Zürich 1487-1701, 2014.
- Utz Tremp, Kathrin: Von der Häresie zur Hexerei: «Wirkliche» und imaginäre Sekten im Spätmittelalter, Hannover 2008
Quellen
- Institoris Heinrich, Sprenger Jakob: Malleus Maleficarum: der Hexenhammer, verfasst von den beiden Inquisitoren Jakob Sprenger und Heinrich Institoris, zum ersten Male ins Deutsche übertragen und eingeleitet von J. W. R. Schmidt, Berlin 1923.
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