Die Luziferianer
von Lydia Muralt (Kommentare: 0)
Die Katharer
Eine grosse Sekte des Mittelalters waren die Katharer (Albigenser). Ich gehe hier näher auf sie ein, weil ihretwegen die katholische Kirche zum ersten Mal die Inquisition einsetzte. Es waren auch die Katharer, die später zur Schablone für die erfundene Sekte der Luziferianer wurden.
Etymologisch lässt sich der Name «Katharer» vom griechischen "katharos", die Reinen, ableiten. «Katharer» war aber eine Fremdbezeichnung der Verfolger. Das deutsche Wort «Ketzer», das synonym zu Häretiker verwendet wird, leitet sich höchstwahrscheinlich von «Katharer» ab. Als häretisch bzw. ketzerisch wurden von der katholischen Kirche Auffassungen betrachtet, die im Widerspruch zu den von ihr vertretenen Auffassungen und verbreiteten Lehren standen.
Die Sekte der Katharer wurde im 12. Jahrhundert zum ersten Mal fassbar. Vor allem in Südfrankreich, wo ganze Regionen katharisch geprägt waren, sowie in den Städten im Norden Italiens war die Theologie der Katharer tief verwurzelt. Deren Existenz war der Kirche solch ein Dorn im Auge, dass ihretwegen die Inquisition zum ersten Mal grossflächig eingesetzt wurde.
In Südfrankreich gab es vier katharische Kirchen, wobei die katharischen Gemeinden hierarchisch aufgeteilt waren. An der Spitze standen die «guten Christen», die von den Inquisitoren die Perfekten genannt wurden. Nur ihr Gebet wirkte. Sie bildeten die Kirche, predigten und brachen das Brot. Dann kamen die Gläubigen, die ewige Postulanten blieben.
Die Gläubigen mussten die Perfekten um ihr Gebet bitten. Das taten sie, indem sie vor ihnen niederknieten, die Hände auf den Boden legten und den Kopf drei Mal auf die Hände neigten, um sie zu küssen. Das war das sogenannte meiloramentum. Von den Inquisitoren wurde es als adoratio (Verehrung) interpretiert.
Das Vaterunser durften nur die Perfekten aufsagen, die bereits das consolamentum erhalten hatten, das wichtigste katharische Sakrament. Bevor die Katharer verfolgt wurden, empfingen es auch Gesunde in Anwesenheit einer grossen Zahl von Gläubigen. Später, während den Verfolgungen, bekamen die meisten Gläubigen das consolamentum erst auf dem Totenbett. Das consolamentum trat in diesem Fall an die Stelle der Sterbesakramente und erlaubte es der Seele der Verstorbenen in den Himmel zu gelangen.
Die Majestätsverbrecher
Aus Sicht der katholischen Kirche stellten die Katharer eine ernst zu nehmende Opposition dar. Nur schon rein aufgrund der geografischen Ausbreitung der Sekte. Zudem forderten die Katharer die Autorität einer Kirche, die den Anspruch auf Universalität erhoben hatte, geradezu heraus, indem sie ihre eigenen Kirchgemeinden aufbauten und die Sakramente sowie den Papst als Kirchenoberhaupt ablehnten.
Zur Bekämpfung der Katharer erliess Papst Innozenz III 1199 die Dekretale vergentis in senium, die auf die Unterstützer und Gastgeber von Katharern abzielte. Denn die Perfekten waren auf Anhänger angewiesen, die Ihnen Obdach und Nahrung gaben. Doch nicht nur das; in vergentis in senium setzte Innozenz die Häretiker mit Majestätsverbrechern gleich, ja er betonte gar, dass Ketzer noch schlimmer als letztere seien, weil sie die göttliche Majestät beleidigen würden. Die Dekretale führte daher zur Kriminalisierung sowie Verfolgung der Katharer.
Die Inquisition
1233 setzte Papst Gregor IX in Südfrankreich zum dann ersten Mal die Inquisition ein, um mit rechtlichen Mitteln gegen die aus Sicht der Kirche gefährlichen katharischen Häretiker ins Feld zu ziehen. Den Prozess der Inquisition (vom Lateinischen inquisitio = Untersuchung) gab es schon vor 1233. Er wurde aber sozusagen nur Kirchen intern eingesetzt, falls der Verdacht bestand, dass ein Geistlicher vom rechten Glauben abgewichen war. Dabei ging es darum, die betroffene Person auf den richtigen Pfad zurückzubringen.
Die Inquisition, wie sie sich ab 1233 entwickelte, war kein einheitlicher Apparat und umfasste mehrere Institutionen, die sich zum Teil stark voneinander unterschieden. Doch alle folgten den gleichen Prinzipien. Es ging darum, durch systematische Untersuchungen Häretiker, die auch nach mehrmaligen Mahnungen nicht von ihrer Irrlehre abwichen, aufzuspüren.
Ab 1252 durften Inquisitoren während Verhören von mutmasslichen Häretikern auch die Folter einsetzten. Gestanden die gemarterten Ihre Häresie, drohte ihnen als Abtrünnige der Kirche oft der Tod durch Verbrennen. Weil die Kirche aber nicht selber töten wollte, wurden die Verurteilten zur Hinrichtung an die weltliche Justiz weitergegeben.
Zu einem Inquisitionsprozess gehörte auch die Verteidigung des Angeklagten. Doch seit Mitte des 13. Jahrhunderts wagte sich niemand mehr einen Häretiker oder eine Häretikerin zu verteidigen, weil man leicht in Gefahr geriet, selber für einen Ketzer oder zumindest einen Sympathisanten gehalten zu werden.
Die diabolische Häresie
Zeitgleich mit dem päpstlichen Beschluss, die Inquisition auf die Katharer anzusetzen, kam es zur Diabolisierung der kriminellen Häresie oder mit anderen Worten: Inquisitoren beschuldigten, Häretiker dem Teufel zu huldigen. Dies war ein buchstäblich fataler Vorwurf. Denn Teufelsverehrer wurden als Apostaten ohne Umschweife mit dem Feuertod bestraft. Dagegen konnte ein herkömmlicher Häretiker bei der ersten Anklage wegen Häresie noch mit Milde rechnen, weil erst Rückfällige zum Tod verurteilt werden.
Wie kam es zu dieser verhängnisvollen Entwicklung? Gemäss Kathrin Utz Tremp war die Verteufelung der Häretiker eine Reaktion auf die Renaissance, die im 13. Jahrhundert einsetzte. Das neue Gedankengut, das durch die Wiederentdeckung der Antike die geistige Welt des Mittelalters erweiterte, war zugleich eine Herausforderung für die Kirche, die sich ab diesem Moment nicht auch noch mit unterschiedlichen Häresien auseinandersetzen wollte. Das Teufelsklischee, das Häretikern wie eine Maske übergestülpt wurde, machte es überflüssig sie verstehen zu müssen.
Die Luziferianer
Die Vorstellung von dem Teufel huldigenden Ketzern führte gar zur Entstehung der frei erfundenen Sekte der Luziferianer.
Papst Gregor IX beschrieb in seiner Bulle Bulle Vox in Rama die Aufnahme eines Novizen in die imaginäre Sekte folgendermassen:
Im Rahmen des Aufnahmerituals erscheint dem Neuling eine Kröte, der sie mit einen Zungenkuss aufs Maul oder auch aufs Hinterteil küsst. Nach dem Krötenkuss begegnet dem Novizen ein sehr blasser, bis zum Skelett abgemagerter Mann mit pechschwarzen Augen, den er ebenfalls küsst und so den katholischen Glauben verliert. Im Anschluss an diese skurrile Kuss-Zeremonie sitzen der Neuling und die Sektenmitglieder zum Gastmahl nieder.
Nach dem Mahl tritt ein schwarzer Kater von der Grösse eines mittelgrossen Hundes auf, der sowohl vom Novizen als auch von jedem Sektenmitglied auf die Hinterbacken geküsst wird. Doch nur Sektenmitglieder, welche würdig und vollkommen sind, dürfen den Kater küssen. Diejenigen, die sich nicht für würdig erachten, erhalten vom Sektenmeister den Frieden. Im Anschluss daran werden die Kerzen gelöscht und die Sektenmitglieder begehen miteinander Unzucht, wozu auch homosexuelle Handlungen gehören, die im Mittelalter ein echtes Verbrechen waren.
Da tritt aus dem dunkelsten Winkel der Schule der Sekte ein Mann hervor, dessen Oberkörper heller als die Sonne strahlt, und dessen Glanz den ganzen Raum erleuchtet. Unten ist der Mann aber so struppig wie ein Kater. Der Meister reisst ein Stück vom Gewand des Novizen ab und überreicht es dem Leuchtenden. Jener bedankt sich für die guten Dienste des Meisters und verschwindet.
Zum Schluss fügt Gregor IX noch hinzu, dass die Sektenmitglieder Hostien schänden würden, in dem sie jene wie gewohnt zu Ostern in der Kirche empfingen sie aber, anstatt zu sie schlucken, nach hause tragen und in den Abtritt spucken würden.
Gelehrte verbreiten Fake News
Die Informationen über die Teufelssekte hatte Papst Gregor IX gemäss eigenen Angaben von Magister Konrad von Marburg, dem Bischof von Hildesheim sowie des Erzbischofs von Mainz. Wie eine Textanalyse von Vox in Rama zeigt, hatte der Erfinder der Luziferianer nichts anderes gemacht als von Theologen verbreitete Vorurteile gegenüber den Katharern aufzugreifen, um daraus, inspiriert vom Wortlaut der Offenbarung, das gruselige Bild der Luziferianersekte zu malen.
Die Idee einer Sekte von Teufelsanbetern ist eine Anspielung auf die dualistische Theologie der Katharer, in der die materielle Welt dem Teufel zugeschrieben wurde. Anhand der Falschinterpretation dieser Theologie konnte die Inquisition aus Katharern ganz einfach Satansanbeter machen. Die Welt des Satans wiederum war nach dem Prinzip der verkehrten Welt aus der christlichen liturgischen Praxis der Gottesverehrung konstruiert. Diese Perversion der christlichen liturgischen Praxis findet sich in Gregor IX Beschreibung der Luziferianersekte. Namentlich dort, wo den Sektenmitgliedern vorgeworfen wird, sie würden die Hostien, die sie zu Ostern empfingen, in den Abtritt spucken.
Des weiteren enthielt Vox in Rama auch Anspielungen auf angebliche und tatsächlich existierende Rituale der Katharer. Etwa an den Stellen, wo der Neuling zuerst die Kröte und dann mageren Mann (den Teufel) küsst. Diese Schilderung scheint eine Anspielung auf einen katharischen Brauch, das meiloramentum zu sein, wobei ein Gläubiger entweder seine eigenen Hände oder auch den Perfekten küsst, um von jenem gesegnet zu werden. Der Kuss auf die Hinterbacken des Katers nimmt Bezug auf die Schilderung von Walter Map, Schriftsteller und später Archidiakon in Oxford, welcher um 1180 die angebliche Katzenverehrung von Katharern kolportierte. Der Theologe Alain de Lille, ein Zeitgenosse Walter Maps, leitete den Namen "Katharer" gar vom Wort "Kater" ab!
Die Erscheinung des Leuchtenden mit dem struppigen Unterkörper gegen Ende der Aufnahmezeremonie der Teufelsanbeter ist eine Andeutung auf die Offenbarung des Johannes 1:10-17. Nur, dass anstatt Jesus der Teufel auftritt.
Den Haarsträubenden Bericht über die Luziferianer schickte Gregor IX an Kaiser Friedrich, dessen Sohn König Heinrich VII, Erzbischof Siegfried, Bischof Konrad von Hildesheim und Magister Konrad von Marburg, der von Gregor IX für Deutschland weitreichende inquisitorische Vollmachten übertragen worden waren.
Die ver-rückte Realität
Die Sekte der Luziferianer lebte in den Köpfen der deutschen Inquisition weiter. Echte Sekten vermischten sich in der Einbildung der Sektenverfolger dabei mit der nicht existierenden Sekte der Luziferianer. James Given, der ebenfalls zum Katharismus forschte, ist der Auffassung, dass die Inquisition perfekte Techniken ausgearbeitet habe, um die Realität zu verändern und zu beugen und der neuen Gestalt gewaltsam Akzeptanz zu verschaffen. Tatsächlich entwickelten sich die Verhöre der Ketzer dahingehend, dass man einen vorgefassten Fragenkatalog verwendete und das, was man hören wollte, sozusagen in die Verdächtigten «hineinfragte». Es ging darum, das eigene Bild des Ketzers bestätigt zu bekommen und nicht etwa darum, sich mit der Häresie des Verurteilen zu befassen. So konnte der Inquisitor dann einen Katharer oder Waldenser ganz einfach mit einen nicht existierenden Luziferianer verwechseln.
Ein Beleg dafür, dass sich sowohl beim Volk als auch bei den Inquisitoren der Glaube an die Luziferianer gefestigt hatte war etwa 1336 die Verbrennung von 14 Waldenser in Angermünde, die man für Luziferianer gehalten hatte. Für die Angeklagten wenig hilfreich war, dass im neuen Inquisitionsverfahren der Inquisitor Richter, Ankläger und Verteidiger zugleich war.
Literatur
- Lambert, Malcom: Medieval Heresy. Popular Movements from the Gregorian Reform to the Reformation, Oxford 2002.
- Utz Tremp; Xaver Bischof, Franz: "Ketzer", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 02.09.2008. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011447/2008-09-02/, konsultiert am 28.03.2021.
- Utz Tremp, Kathrin: Von der Häresie zur Hexerei: «Wirkliche» und imaginäre Sekten im Spätmittelalter, Hannover 2008.
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