Hexenverfolgungen in der Schweiz

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Die Jagd beginnt

Schon 50 Jahre bevor der Hexenhammer im deutschsprachigen Europa Erfolg feierte und zur Hexenjagd aufrief, begannen erste Hexenverfolgungen in der Dauphiné (Frankreich) und der heutigen Westschweiz.

Die ersten Hexenverfolgungen fanden um 1430 im Wallis statt, gefolgt von Verfolgungen in Freiburg und Neuenburg (um 1440), in Vevey (1448), in den Territorien des Bistums von Lausanne (um 1460), wiederum am Genfersee (um 1480) und schliesslich in Dommartin (1498 und 1524-1528). Aus den 1430er Jahren und aus dem gleichen geografischen Kontext stammen auch die ersten theoretischen Texte, welche die erfundene teuflische Hexensekte und ihre Versammlungen auf dem Hexensabbat in Wechselwirkung mit der Prozesswirklichkeit beschreiben.

War die Inquisition ein Instrument der Kirche, verfolgten bereits 1430 im Wallis weltliche Obrigkeiten Hexen.

Im 16. Jahrhundert nahm auf dem Gebiet der heutigen Schweiz wie anderswo die Anzahl der Hexenprozesse sowohl in den katholischen wie auch in den reformierten Landesteilen stark zu und verringerte sich erst gegen Mitte des 17. Jh. wieder. In Graubünden stammt aber der überwiegende Anteil der überlieferten Prozesse erst aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Hexenprozesse aus dem 18. Jahrhundert sind kaum mehr überliefert.

Als letzte verurteilte Schweizer Hexe gilt die Glarnerin Anna Göldi (1782). Es gab in der Schweiz zwar kein eigentliches Verbot der Hexenprozesse, aber die Obrigkeiten zögerten nach 1700 vermehrt bei der Annahme von Klagen wegen Hexerei, wodurch das Risiko einer Verurteilung sank.

Die Opfer der des Hexenwahns

Gemäss Schätzungen fanden in Westeuropa ungefähr 100 000 Hexenverfolgungen statt. 10 000 davon in der Schweiz. Hexen oder Hexer sind hauptsächlich durch gelehrte Traktate und Prozessakten überliefert. Obschon also die Menschen im Mittelalter und in der Neuzeit Magie kannten und auch benutzten, beschreiben die genannten Quellen keine Menschen, die es tatsächlich so gegeben hatte.

Frauen und Männer

Wie die Arbeit von Kathrin Utz Tremp für die Westschweiz zeigt, konnte der Anteil von Frauen und Männern an den Opfern der Hexenverfolgung regional und auch zeitlich unterschiedlich verteilt sein.

Bei den ersten Hexenverfolgungen im 15. Jahrhundert in der Westschweiz machten Frauen nur einen Drittel der Verfolgten aus. Weil in den Anfangszeiten der Westschweizer Hexenverfolgungen Hexen und Hexer noch als Teil einer häretischen Sekte betrachtet wurden und offenbar mehr Männer mit Häresie in Verbindung gebracht wurden als Frauen. In der frühen Neuzeit hingegen betrug der Anteil von Frauen an den Verfolgten in der Westschweiz zwei Drittel. Die Prozesse in der Leventina vom 15. Jahrhundert glichen, was den Frauen/ Männer Anteil sowie das häretische Substrat anbelangte, denen der Westschweiz.

Bei den Verfolgungen, die im 15. Jahrhundert im Gebiet der Deutschschweiz (v.a. Luzern) stattfanden waren deutlich mehr Frauen als Männer betroffen. Denn dies waren reine Malefizprozesse, denen kein Konzept von Hexensekte und -Sabbat zu Grunde lag. Mit anderen Worten; Häresie, die eher als männliches Delikt betrachtet wurde, wurde ausgeschlossen. Auch in Zürich überwiegt der Frauenanteil unter den wegen Hexerei verfolgten Personen. Unter 84 wegen Hexerei verurteilten Menschen befanden sich nur drei Männer. Es kann gut sein, dass bei den Hexenverfolgungen, die in der Schweiz ab dem späten 15. Jahrhundert einsetzten, der Hexenhammer von Heinrich Kramer, der Hexerei primär als weibliches Delikt definierte, einen gewissen Einfluss hatte. So fällt im Zusammenhang mit den Hexenverfolgungen auf der Zürcher Landschaft auf, dass jene mit dem Erscheinen des Hexenhammers zusammenfallen. Das Buch kommt 1486 in Druck. 1487 wird in Zürich Margareth Bucher als erste Hexe verurteilt. In Sarn am Heinzenberg zeigt sich ein ähnliches Bild wie in Zürich was das Geschlechterverhältnis der Verurteilten anbelangt: In Sarn setzen Hexenprozesse ab 1666 ein. Circa 24 solcher Prozesse fanden statt, wobei 14. Menschen hingerichtet wurden. Von den 24. Angeklagten waren lediglich zwei Männer.

Arm und Reich

Für Zürich lässt sich feststellen, dass der Grossteil der wegen Hexerei Angeklagten aus eher bescheidenen Verhältnissen kam. Zudem waren viele der verurteilten Frauen eher fortgeschrittenen Alters. Mit dieser Feststellung stimmen die Auffassungen von Martin Reinheimer und Bernd Röeck, welche zu Randgruppen in der frühen Neuzeit forschen, überein. Vor allem allein stehende Frauen am Rande der Gesellschaft seien Gefahr gelaufen, als Hexe verurteilt zu werden.

Doch in der Schweiz wurden sehr wohl auch wohlhabende Männer wie Frauen der Hexerei bezichtigt. So kam es 1524 in Villars zur Hinrichtung von Claude Rolier, dem reichsten Bauern von Villars-Tiercellin wegen Hexerei. Wegen Hexerei angeklagt wurde 1467 auch Françoise Bovin eine wahrscheinlich noch junge und wohlhabende Witwe aus Zehnden Siders (Sierre) oberhalb von Sitten (Sion). In Zürich wurde die sehr reiche und mit der Zürcher Oberschicht gut verknüpfte Agatha Studler 1546 wegen Hexerei hingerichtet. Agatha Studler gehörte durch Geburt zur reichen Oberschicht von Zürich und Konstanz. Auch die wegen Hexerei angeklagte Anna Caflisch aus Fledern kam aus guten Hause und war vergleichsweise wohlhabend.

Motive hinter der Hexenverfolgung

Eine der Fragen, die sich uns heute im Zusammenhang mit der Hexenverfolgung stellt, sind die Motive, die dahinter stecken könnten. Inwiefern glaubten die Zeitgenossen tatsächlich an das fiktive Konstrukt der Hexer und Hexen, wie es im Hexenprozess sichtbar wird und inwiefern wurde ein Hexenprozess instrumentalisiert, um persönliche und politische Ziele zu erreichen?

Anhand von den am Hexenprozess beteiligten Personen, des politischen, religiösen oder gesellschaftlichen Kontextes, in denen die jeweiligen Verfolgungen stattfanden, lässt sich erahnen, welche Beweggründe hinter Hexenverfolgungen gesteckt haben könnten. Zugleich taucht man in die tiefsten menschlichen Abgründe ein. Schnell wird ersichtlich, dass Hexenprozesse sowohl von «oben» (von den Obrigkeiten) als auch von «unten» (vom Volk) für eigennützige Zwecke missbraucht wurden.

Herrschaftsdurchsetzung

Aufgrund ihrer Forschung in der Westschweiz und Freiburg, kam Kathrin Utz Tremp zum Schluss, dass Hexenprozesse von den kirchlichen aber auch von den weltlichen Obrigkeiten gezielt durchgeführt wurden, um politische Ziele zu erreichen: Sie hatten begriffen, dass sie mittels der Verbrennung eines Menschen ihre Jurisdiktion über ein Gebiet oder einen Ort festigen konnten.

Auch Nikolaus Schatzmann, der die Hexenverfolgungen in der Leventina untersuchte, kam zum selben Fazit wie Kathrin Utz Tremp: Der Hexenprozess sei von «oben» eingesetzt worden, um Machtansprüche geltend zu machen.

Dies scheint auch der Fall in Luzern gewesen zu sein: Interessanterweise fielen dort die relativ frühen Hexenverfolgungen am Ende des 14. Jahrhunderts mit der Ausbildung der Luzernischen Landeshoheit zusammen.

Bereicherung

Malcom Lambert und Kathrin Utz Tremp stellten beide fest, dass schon der Inquisitionsprozess von den Inquisitoren missbraucht wurde, um eigene Interessen durchzusetzen. Etwa um sich am Vermögen der Verurteilten zu bereichern oder lästige Konkurrenz aus dem Weg zu räumen.

Es gibt Indizien, dass dies bei den Hexenverfolgungen ebenso ein Motiv der Richter gewesen sein könnte, dass vielleicht nicht genug stark war um den Prozess auszulösen, aber zumindest interessant genug, um auf eine Verurteilung hin zu arbeiten.

Als in Zürich die reiche Agatha Studler wegen Hexerei ertränkt wurde, fiel ihr ganzes Vermögen an den Zürcher Rat, der ihren Fall bearbeitet hatte und das Todesurteil aussprach. War dies ein Faktor, der bei der Urteilsfindung einer Rolle gespielt haben mag oder nur ein nützlicher «Nebeneffekt» der Hinrichtung? Bei ihrem Tod war Agatha Studler die reichste Person in Zürich mit einem Vermögen von gut 10 000 Gulden. Zum Vergleich: zur Zeit der Reformation galt ein Vermögen von über 5000 Gulden als sehr reich.

Dass die Verurteilung einer Hexe bzw. eines Hexers sich finanziell lohnen konnte, meint etwa Herbert Patt aufgrund der Abrechnungen der Hexenprozesse am Heinzenberg. Die zum Teil hohen Kosten des Prozesses hatten jeweils die Angehörigen zu tragen. Herbert Patt erwähnt insbesondere den Doppelprozess von Anna Caflisch und Jetta Briaun. Auch hier hatten die Angehörigen beider Frauen die Kosten des Prozesses zu tragen, die sich auf 807 Gulden beliefen. Um die Rechnung zu begleichen mussten die Verwandten von Anna Caflisch etwa eine Mühle samt Gütern verkaufen, die Anna gehört hatte. Gemäss unbestimmten Quellen, Patt stützte sich unter anderem auch auf mündliche Überlieferung, soll das restliche Hab und Gut von Anna Caflisch sogar unter den zuständigen Richtern verteilt worden sein.

Bestrafung von Nicht-Normkonformen Verhalten

Liest man die Protokolle der Hexenprozesse am Heinzenberg fällt ebenfalls auf, dass vier angeklagten Frauen quasi standardmäßig Ungehorsam gegenüber Gott, gegenüber der weltlichen Obrigkeit sowie gegenüber des Ehemannes vorgeworfen wird. Auch Ehebruch bzw. Hurerei und Diebstahl kommt als häufiger Vorwurf. Interessanterweise kommt die Aufzählung dieser Verbrechen in den Protokollen noch vor dem Vorwurf der Hexerei. Ob es sich bei den Angeklagten tatsächlich um aufmüpfige Frauen handelte sei mal dahingestellt. Auf alle Fälle zeigen die Vorwürfe, welches Verhalten von einer anständigen Frau erwartet wurde. Die vollstreckten Todesstrafen dagegen waren die Konsequenz, die eintreten konnte, wenn «Frau» sich nicht Norm-konform verhielt

Doch nicht nur die Obrigkeiten sondern auch die Lokalbevölkerung hatte verstanden, dass man Hexenverfolgungen gebrauchen konnte, um Konflikte aller Art auszutragen.

Neid & Konkurrenzdenken

So war der reiche Bauer Claude Rolier vermutlich wegen Neid der Hexerei bezichtigt worden. Denn vier Jahre nach Roliers Tod, starb dessen Mutter Margot auf dem Scheiterhaufen und 25 Jahre später auch noch sein Bruder Jordan. Man konnte also nur gegen diese reiche Familie vorgehen, in dem man sie als Hexer und Hexen verurteilte. Doch warum die Missgunst? Villars-Tiercellin, wo Rolier seinen Hof hatte, gehörte zur Kastellanei Dommartin. Das Dorf Dommartin liegt nordöstlich von Lausanne. Die Bewohner von Dommartin sowie die der anderen Dörfern, die zur Kastellanei gehörten, waren Bauern. Durch Erbaufteilung war das Land extrem zerstückelt oder gar nicht aufgeteilt, was Anlass zu unzähligen Konflikten gab. Diese entluden sich gemäss Kathrin Utz Tremp in den Hexenverfolgungen. Claude Rolier und seine Familie waren als wohlhabende Bauern in einer Umgebung, wo allem Anschein nach Mangel herrschte, die idealen Opfer.

Einige von Otto Sigg für Zürich aufgearbeiteten Fälle weisen darauf hin, dass womöglich der Wunsch, Konkurrenz loszuwerden, dazu führte, dass drei Frauen wegen Hexerei angezeigt und später auch verurteilt worden sind. Sigg erwähnt den Heiler Hensi Hüsser der im 16. Jahrhundert innerhalb von 20 Jahren drei Frauen wegen Hexerei anklagte, wobei es in allen drei Fällen zu einer Verurteilung kam. Gemeinsam haben die Opfer, dass sie heilkundig waren, genau wie Hüsser. Stellten die Frauen für Hüsser eine unliebsame Konkurrenz dar, die er loswerden wollte?

Private Abrechnung

Die walliser Witwe Françoise Bovin war von Françoise Barras, die zuvor als Hexe verurteilt und hingerichtet worden war, der Hexerei bezichtigt worden. Zwischen beiden Frauen herrschte Feindschaft: die Bovin hatte der Barras den Tod ihres Mannes vorgeworfen. Während Françoise Barras zum Tod verurteilt wurde, hatte Françoise Bovin mehr Glück: Dank ihrer guten Beziehungen und ihres Geldes konnte sie sich einen guten Anwalt leisten, der sie so gut verteidigte, dass sie freigesprochen wurde.

Auch bei Agatha Studler aus Zürich waren es private Konflikte, die zu zwei Anklagen wegen Hexerei führten. Zur Zeit der zweiten Anklage war Agatha Studler in zweiter Ehe mit Heinrich Grebel verheiratet. Von ihrem vorherigen Mann, Adam Fry, war sie geschieden. Schon damals war es während des Scheidungsprozesses zu einer Klage von Adam Fry gegen Agatha gekommen: Fry behauptete, sie habe ihn unter dem Gürtel erlahmt. Der Vorwurf des Ehemannes, Agatha habe ihn erlahmt, hätte schon zur Verurteilung wegen Hexerei führen können. Doch Agatha wurde vom Zürcher Rat freigesprochen. Wie der zeitgenössische Chronist Wick meint, aufgrund vieler guter Gönner im Rat.

1546 wurde Agatha zum zweiten Mal wegen Hexerei angeklagt und zwar von dem Bäckerehepaar Keller. Mit der Behauptung, Agatha habe sie beide vergiften wollen. Nach Ansetzten der Däumeleisen und aus Angst vor weiterer Folter gestand Agatha, worauf sie der Zürcher Rat zum Tode verurteilte.  Doch auf ihren Wunsch hin wurde Agatha «nur» ertränkt und nicht etwa als Hexe verbrannt. Weil der Rat nur von Schadenzauber ohne Teufelspakt ausging, war dies juristisch auch möglich.

Literatur

  • Korrodi-Aebli, Elisabeth: "Göldi, Anna", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.09.2005. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/043539/2005-09-23/, konsultiert am 27.03.2021.
  • Patt, Herbert: Hexenprozesse der Gerichtsgemeinde Heinzenberg: Geschichten, Sagen & Erzählungen rund um die Gerichtsgemeinde Heinzenberg in Sarn im 17. und 18. Jahrhundert, Herbert Patt, 2012.
  • Pfister, Ulrich; Utz Tremp, Kathrin: "Hexenwesen", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 16.10.2014. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011450/2014-10-16/, konsultiert am 14.03.2021.
  • Sigg Otto: Hexenprozesse mit Todesurteil. Justizmorde der Zunftstadt Zürich: Vom bösen Geist in Stadt und Land Zürich und im aargauer Kelleramt. Dokumentation zu 79 mit Todesurteilen endenden sogenannten Hexenprozessen im Hoheitsgebiet der Stadt Zürich 1487-1701, 2014.
  • Utz Tremp, Kathrin: Von der Häresie zur Hexerei: «Wirkliche» und imaginäre Sekten im Spätmittelalter, Hannover 2008

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