Raubritter

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Raub oder Fehde?

In Quellen des Spätmittelalters aus dem Heiligen Römischen Reich finden sich unzählige Klagen über verbrecherische Ritter; es ist von Mordbuben die Rede, von Männern, die „einer armen Witwe die letzte Kuh stehlen“. Um dieses Phänomen zu beschreiben, erfanden Historiker des 18. Jahrhunderts den Idealtyp des Raubritters. Auch im 20. Jahrhundert noch vertraten Historiker die Auffassung, dass im Spätmittelalter sich oft Ritter des Raubes schuldig gemacht hätten: So meint etwa Günther Bauer in seiner kurzen historischen Abhandlung über die Geschichte des Raubes, Ritter und ihre Knechte hätten ab dem 11. Jahrhundert „den Grossteil der Räuber“ gestellt. Den Rittern wirft Bauer vor, unter dem Deckmantel der Fehde regelrechter Strassenraub betrieben zu haben. Es habe als legitim gegolten, das aufstrebende Bürgertum durch Fehden auszusaugen.

Interessant ist, dass Bauer ein im Mittelalter legales Mittel zur Selbsthilfe, nämlich die Fehde, erwähnt, die von den raubenden Rittern missbraucht worden sein soll. Auch sein Kollege Manfred Kaufmann spricht von Adligen, die gemeine Überfälle als Fehden getarnt hätten.

Was war da los? Inwiefern trifft der im 18. Jahrhundert erfundene Begriff "Raubritter" auf Ritter tatsächlich zu? Waren raubende Ritter Räuber im Sinne des heutigen Strafgesetzbuches? Also Personen, die in Bereicherungsabsicht mit Gewalt gegen eine Person oder unter Androhung gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (…) einen Diebstahl begehen?

Die Ritterfehde

Schauen wir uns zunächst an, was eine Fehde überhaupt ist.

Die Fehde war eine Form von rechtmässiger Selbsthilfe einer in ihren Rechten verletzte Person. Dabei wurde unterschieden zwischen Blutrache (Tod- oder Hauptfeindschaft) und der Ritterfehde (der Absage). Die Blutrache konnte nur wegen Tötung, Verwundung und schwerer tödlicher Beleidigung geführt werden und war jedem Mann zugänglich (Frauen konnten indirekt Fehde führen, in dem sie sich durch männliche Verwandte vertreten liessen). Die Ritterfehde war, wie es ihr Name schon sagt, nur dem Adel und ihm gleichgestellten Grundherren und genossenschaftlichen Verbänden erlaubt. Sie konnte wegen jeder strittigen Sache geübt werden.

Von grosser praktischer Bedeutung war die Möglichkeit, Fehden für andere zu führen, also Fehdegründe zu erwerben. Das heisst, dass eben auch Menschen, die nicht berechtigt waren eine Ritterfehde zu führen, ihre Rechtsansprüche geltend machen konnten, in dem sie sich unter den Schutz eines Adligen Herren stellten, der sie vertrat. Solche Vertretungen kosteten natürlich, wobei die Ritter sich ihre Dienste entweder aus Lösegeldern oder in Form eines Soldes bezahlen liessen. Auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches entwickelte sich ein richtiger Fehdedienst mit Fehdeunternehmern und Fehdehelfern, wobei natürlich auch die finanziellen Interessen der Fehdeführer im Mittelpunkt standen.

Die Spielregeln

Bei der Ritterfehde war das Ziel des Fehde-Führers, den Fehde-Gegner dazu zu zwingen, den Anspruch des Fehde-Führenden anzuerkennen und ihm nachzukommen. Durch Schädigung des Fehde-Gegners übte der Fehde-Führer so lange Druck aus, bis der Befehdete einlenkte und der Forderung nach kam.

Wie historische Quellen zeigen, konnte der ausgeübte «Druck» ziemlich unangenehm werden. Gemäss dem Historiker Alexander von Rietzenstein bestand die Strategie der Fehde-Führer in der rücksichtslosen Schädigung des Gegners durch Einbrüche, Plündern, Sengen und Brennen. Auch Günther Brunner nennt Brand und Raub, ja Sogar Totschlag als Mittel der Fehde-Führung. Aus heutiger Sicht würde man von kriminellem Vorgehen sprechen. Selbstverständlich war auch im Mittelalter jedes einzelne der aufgezählten Fehde-Mittel ein strafbarer Tatbestand. Deshalb war es für den Fehde-Führer wichtig, beweisen zu können, dass er eine legitime Fehde führte.

Ende des 12. Jahrhunderts wurden im Bestreben mehr Ordnung zu schaffen formale Regeln der Fehde-Eröffnung zum Gesetz erhoben. Die Fehde-Erklärung (Ab- oder Wiedersage) wurde zu einem weitgehend akzeptierten Bestandteil der Fehde und unentbehrliche Voraussetzung jeder rechter Fehde. Die offene Erklärung der Feindschaft bedeutete, dass der Fehde-Führer durch seine Gewalttaten nicht ehr- und rechtlos, kein schädlicher Mann, kein Räuber wurde. Zwischen Mitteilung der Absage und dem Beginn der Kampfhandlungen musste eine Drei-Tagesfrist liegen. Der Fehde selbst musste ein legitimer Anspruch zugrunde liegen.

Beendet wurde die Fehde durch einen Sühne-Vertrag mit anderen Worten: der Wiederherstellung des Friedens durch die Befriedigung der Rechtsansprüche des Fehde-Gegners.

Fehdeverbote

Eine Fehde konnte zu einer richtigen Plage werden. Denn nicht nur der Fehde-Gegner, sondern auch seine Verwandten und Freunde konnten von dem «Schaden Trachten» heimgesucht werden. Und nicht nur das; führte ein Ritter gegen einen Landesherren eine Fehde, konnten die Untertanten von Letzterem an dessen Stelle ausgeraubt werden. Wurde gar einer ganzen Stadt eine Fehde angesagt, so waren sämtliche Bürger und Bürgerinnen vom Fehde-Führer bedroht. Derartige Vorfälle gab es in großer Zahl, wobei niemand von solchen Zugriffen sicher war.

Folglich wurden im Laufe der Jahrhunderte durch zahlreiche Gottes- und Reichslandfrieden erfolglose Versuche unternommen, die Fehde auf dem Reichsgebiet einzuschränken oder sogar ganz zu verbieten. So zum Beispiel der Ewige Landfrieden von König Maximilian 1495, der ein totales Fehdeverbot enthielt und tatsächlich zu einem Rückgang der Fehden führte. Auch gab es lokale Fehde-Verbote. Doch das Fehde-Wesen dauerte bis ins 16. Jahrhundert weiter an, ohne dass die Fehde-Führer sich dabei im Unrecht gewusst hätten. Genauso wie die Unterdrückung der Fehde scheiterte, gelang es auch nicht die Untertanen sowie die erweiterte Familie des Befehdeten vor Fehdehandlugen zu schützen.

Raub oder rechtmässige Fehde?

Betrachtet man die grosse Anzahl an Personen, die von einer Fehde betroffen sein konnten und berücksichtigt man, dass der Fehdeführer von Diebstahl über Raub und Mord alle möglichen Mittel einsetzten konnte, um dem Befehdeten Schaden zu zu fügen, verwundert es nicht, dass der Fehde-Führer als eine kriminell agierende Person wahrgenommen werden konnte.

Zudem muss es für Adlige verlockend gewesen sein, gemeine Beutezüge als Fehden zu tarnen und so zu tun als verhelfe man jemandem zu seinem Recht. Dennoch konnte ein «Raubritter» sehr wohl ein Ritter sein, der nichts anderes tat, als für sich oder für Dritte Rechtsansprüche durchzusetzen. Wie kann man nun herausfinden, ob ein Fehde führender Ritter rechtmässig handelte?

Wird in einer mittelalterlichen Quelle eine Fehde als unrechtmässiger Raub bezeichnet, heisst das zunächst noch gar nichts. Denn wie Regine Görner, die vor allem das Fehdeverhalten des Westfälischen Adels untersuchte, feststellte, war es so, dass die Behauptung des unrechtmässigen Überfalles oft eine Taktik des Geschädigten war. Zu einer Fehde kam es ja erst, weil derjenige, gegen den sie sich richtete, die Berechtigung irgendeiner Forderung bestritten hatte. Daher war es nur logisch, dass der Geschädigte sich auf unrechte Fehde berief, selbst wenn der Fehdeführer im Recht war.

Dass ein Gegner ein Räuber war und Raub übte, bedeutete also zunächst einmal nur, dass die gegnerische Seite seine Ansprüche nicht anerkannte. Um herauszufinden, ob ein Ritter ein Räuber war oder eine rechtmässige Fehde führte, bleibt einem nichts anderes übrig als einzelne Fälle genauer anzuschauen.

Die Fehde des Ritters Götz von Berlichingen

Unzweifelhaft ein Raubritter war der berühmte Götz von Berlichingen. Insgesamt gehen drei große Fehden auf sein Konto, wobei er alle Fehden in Angelegenheiten Dritter geführt hatte, die Beziehung zu jenen dabei aber nur mühsam hergestellt werden konnte. Götz verdankt seine Berühmtheit vor allem der Tatsache, dass er seinen Taten zur Bekanntheit verhalf in dem er sie im 16. Jahrhundert niederschrieb.

Ein klares Beispiel einer unrechtmässigen Fehde ist zum Beispiel der Überfall von Götz Männer auf Nürnberger Kaufleute. Diese Fehde gegen die Stadt Nürnberg soll Ritter Götz mutwillig vom Zaun gebrochen haben. Als Hauptgrund zu seiner Fehde gab er die Tatsache an, dass ein ihm bekannter Adliger namens Fritz von Lidwach gefangen und ausgeraubt worden war. Zweifellos sei die üble Tat durch Anstiften des Nürnberger Rates verübt worden, weswegen der Rat die Verantwortung dafür tragen müsse (und somit natürlich die ganze Stadt).

Die Sache hatte allerdings einen Hacken: der Fall Lidwach war seit 1509 längst geschlichtet und vertragen. Daher wollte Lidwach Götz davon abhalten in seinem Namen Fehde zu führen, worauf Götz aber nicht einging.

Von dem äußerst schwachen Fehdegrund abgesehen, scheint Götz sich im Grossen und Ganzen an die Fehderegeln gehalten zu haben, indem er die Sache zuerst auf dem gerichtlichen Weg anging. Da die Verhandlungen aber nicht so ganz nach Plan verliefen, überfielen er und seine Truppe am 18. Mai 1512 teils aus Nürnberg stammende Kaufleute. Alle wurden ihrer Habe beraubt und gefangen genommen. Götz meinte dazu, er habe hierbei ganz korrekt zuerst die Mitteilung der Absage überbracht.

Dennoch handelt es sich bei vorliegendem Fall eindeutig um eine illegale Handlung. Zum einen war der Fehdegrund offensichtlich an den Haaren herbeigezogen, da der Fall schon lange geschlichtet war. Zum anderen war das Opfer Lidwach ausdrücklich dagegen, dass in seinem Namen eine Fehde geführt wurde und hatte Götz zurück gepfiffen. In diesem einen Fall zumindest kann man Götz als Räuber im Sinne des heutigen Strafgesetzes bezeichnen, weil er offensichtlich eine Fehde vor schob um sich mittels Raub zu bereichern.

Im Gegensatz zu Götz von Berlichingen gab es aber durchaus Adlige, die triftige, legitime Gründe hatten, um eine Fehde zu führen.

Der unfreiwillige Raubritter Heidenrich von Ewich

Als der Attendorner Ritter Heidenrich von Ewich Ende des 14. Jahrhunderts der Stadt Dortmund den Absagebrief schickte, geriet er in den Verdacht der Fehdeführung unter Vorwänden: Er war von einem Kölner Bürger namens Rotger gebeten worden, ihm und seinem Geschäftspartner bei der Eintreibung von Geldforderungen zu helfen, welche sie gegenüber einem Dortmunder Bürger hatten. Das Problem war dabei, dass Rotger ihn gar nicht hätte als Fehdeführer unter Vertrag nehmen dürfen, weil er und sein Geschäftsparnter als Bürger von Hansestädten nicht berechtigt waren ihren Ansprüchen durch Fehde nachzuhelfen.

Rotger und sein Parnter waren jedoch verzweifelt. Sie wandten sich erst an von Ewich, nachdem sie vergebens versucht hatten, das Geld mit Hilfe der Stadt Attendorn einzutreiben. Als nun Dortmund die Absage von Heidenrich von Ewich erhielt, wurde Rotger, auf Bitten Dortmunds, vom Kölner Rat aufgefordert, Heidenrich von Ewich das Mandat zu entziehen. Vor den Rat in Köln zitiert, stritt Rotger nach Aussage des Rates ab, dem Ritter Ewich jemals ein solches Mandat übergeben zu haben. Wie Görner anhand der Quellenanalyse feststellen konnte, war das eine Lüge. Rotger stand eindeutig mit Heidenrich in Verbindung, wobei Letzterer zweifellos eine Art Söldner in Diensten des Bürgers Rotger war. Als der eigentliche Übeltäter müsste demzufolge Rotger angesehen werden, weil dieser ein bestehendes Fehdeverbot übergehen wollte, in dem er seine Fehde einem Fehdeberechtigten übertrug.

Ritter Wilhelm von Mallinckrodt verliert die Geduld

Wilhelm Mallinckrodt verschleppte 1491 in Verbindung mit einem Erbstreit einen Untertan des Herzogs von Kleve-Mark und sagte dem Herzog darauf die Fehde an. Streng juristisch gesehen handelte es sich hier um einen rechtswidrigen Raub, weil es zwischen dem Herzog von Kleve-Mark und Jülich- Berg, wo Mallinckrodt ansässig war, eine Vereinbarung gab, wonach sämtliche Streitigkeiten vermittels eines Schiedsgerichts geschlichtet werden mussten. Die Selbsthilfemassnahme Fehde war also nicht zulässig.

Nun befand sich Mallinckrodt aber nicht grundlos in einer Fehde mit Kleve-Mark: Wilhelms Vater Hermann und, später er selbst, kämpften seit 1485 um ein ihnen vorenthaltenes märkisches Gut. Obschon Herman Mallinckrodt 1487 besagtes Gut endlich zugesprochen wurde, war er gezwungen es wieder zu verlassen, weil die Gegenpartei es ihm erneut streitig gemacht hatte. Weitere Versuche seitens der Mallinckrdot, das Gut auf gütlichem Weg wider zu erlangen scheiterten. Dies obwohl Mallinckrodt vor dem Schiedsgericht Recht erlangt hatte. Weil er das Vertrauen in eine friedliche Konfliktlösung nun vollkommen verloren hatte, griff Willhelm von Mallinckrodt zur Fehde.

Von dieser Perspektive aus gesehen, fällt es schwer Mallinckrodt der rechtswidrigen Räuberei zu beschuldigen. Denn er hatte erst nach ergebnislosen über sechs Jahre dauernder Verhandlungen mit der Fehde zur Selbsthiflfe gegriffen. Die Fehderegeln hatte er dabei ebenfalls eingehalten.

Schlusswort

Die Fälle von Heidenrich von Ewich und Willhelm von Mallinckrodt zeigen ganz klar die Mängel eines Rechtssystemes, welches dem Kläger keine Durchsetzungsmöglichkeiten seiner rechtmässigen Ansprüche garantieren konnte. Im Falle eines Rechtsstreits war der Kläger meist gezwungen, trotz allenfalls bestehendem Verbot, auf die Fehde zurück zu greifen. Dabei wurde die Fehde als Mittel zur Selbsthilfe im Endeffekt von allen Ständen zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen gebraucht.

Während Ritter, wie Götz von Berlichingen das Fehderecht zur eigenen Bereicherung ganz klar ausnutzten und somit eher als "Raubritter" gelten können, wird dieser Begriff Rittern wie Mallinckrodt oder von Ewich nicht gerecht. Die Antwort auf die Frage, ob es die Raubritter tatsächlich gab ist daher aufgrund der komplexen Faktenlage ein  "Jein" :-).

Literatur
  • Bauer, Günther. Raub und Räuber: Ein kriminalistischer und kriminologischer Beitrag zur Bekämpfung und Verhütung von Raubkriminalität. Bd. 6. Hg. Herbert Schäfer. Hamburg 1970.
  • Brunner, Otto. Land und Herrschaft: Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter. Darmstadt 1973.
  • Görner, Regina. Geschichtliche Arbeiten zur westfälischen Landesforschung Bd. 18: Raubritter: Untersuchungen zur Lage der Spätmittelalterlichen Niederadels, besonders im südlichen Westfalen. Münster 1987.
  • His, Rudolf. Das Strafrecht des deutschen Mittelalters: Bd. 1: die Verbrechen und ihre Folgen im Allgemeinen. Leipzig 1920.
  • Kaufmann, Manfred. Fehde und Rechtshilfe: die Verträge brandenburgerischer Landesfürsten zur Bekämpfung des Raubrittertums im 15 und 16 Jahrhundert. Pfaffenweiler 1993.
  • Reitzenstein, Alexander, von. Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg zur deutschen Kunst- und Kulturgeschichte. Bd. 23: Rittertum und Ritterschaft. Nürnberg 1973.
  • Senn, Marcel. Rechtsgeschichte: Ein kulturhistorischer Grundriss. 3. Auflage. Zürich 2003.
  • Ulmschneider, Helgard. Götz von Berlichingen: Ein adeliges Leben der deutschen Renaissance. Sigmaringen 1974.
  • Vogel, Thomas. Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte Bd. 11: Fehderecht und Fehdepraxis im Spätmittelalter am Beispiel der Stadt Nürnberg (1404-1438). Frankfurt am Main 1998.
Quelle
  • Berlichingen, Götz, von. Mein Fehd und Handlungen. Hg. Helgard Ulmschneider. Sigmaringen, 1981.

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